Am Klinikum Neuperlach werden Tumor-Patienten erst aufgepäppelt, bevor sie unters Messer kommen: Das ist das Prähabilitations-Konzept im Darmkrebs-Zentrum.
„Das hat mich getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel“, sagt ein Patient. Wann der Blitz eingeschlagen hat, weiß er noch ganz genau: Am 22. August des vergangenen Jahres rief sein Hausarzt an, er solle sofort vorbeikommen – das wenige Tage zuvor gefertigte Blutbild sei katastrophal. Dabei war er doch nur beim Arzt gewesen, „weil ich dachte, ich habe eine kleine Magen-Darm-Sache“. Nun aber gab’s eine Ultraschall-Untersuchung, gefolgt von einem schweren Gewitter: ein Tumor an der Bauchspeicheldrüse.
Ein knappes Dreivierteljahr nach der Diagnose sitzt Hubert Schneider (Name geändert) in einem Büro im Klinikum Neuperlach, ein bisschen dünn und durchsichtig noch, aber insgesamt gut drauf. Er hat eine Chemotherapie und eine Operation hinter sich, und nach allem, was man sagen kann, ist er jetzt krebsfrei. In wenigen Wochen wird noch eine zweite Chemo folgen, zur Sicherheit. Dass die Therapie bislang so gut verlaufen ist, liegt zum einen daran, dass der Tumor recht früh entdeckt wurde. Und an einem speziellen Behandlungskonzept in Neuperlach, dass die drei Medizinerinnen Natascha Nüssler, Mia Kim und Eva-Maria Jacob für ihre onkologischen Patientinnen und Patienten entwickelt haben.
Neuperlach beherbergt das größte Darmkrebs-Zentrum Deutschlands. Viele Patienten sind im hohen Alter: „Der Krankheitsgipfel der meisten Krebserkrankungen im Magen-Darm-Trakt liegt jenseits des sechsten Lebensjahrzehnts“, sagt die Chirurgin Natascha Nüssler. Deshalb seien viele Patienten zu Beginn der Therapie in einem schlechten Allgemeinzustand: mangelernährt, gebrechlich, unter Sarkopenie leidend, das ist der Verlust von Muskelmasse. Aus der Gewissheit heraus, dass ein körperlich einigermaßen robuster Mensch eine Tumor-Operation besser übersteht als ein geschwächter, werden Patienten in Neuperlach der so genannte Prähabilitation unterzogen, griffig zusammengefasst in dem Schlagwort „Reha vor der OP“.
Dazu werden zunächst allen Körperfunktionen der Kranken untersucht, vor allem in Bezug auf Ernährung, Blutbild und Muskelzustand. Was die Ernährung betrifft, so haben sie alle Extrem an Gewicht verloren, weil sie nicht mehr essen oder das Essen nicht mehr angemessen verdauen konnten. Hier kommt Eva-Maria Jacob ins Spiel, sie ist Ernährungsmedizinerin. „Es ist nicht so, dass die Patienten ganz viele Lebensmittel nicht mehr essen dürfen“, sagt sie. „Sie müssen aber ihren Bedarf und den richtigen Umgang kennen.“
Hubert Schneider etwa gab einige Zeit nach der OP seinem Appetit auf Weißwürste nach – und das ist im gar nicht gut bekommen, fürchterlich gegrummelt hat’s im Bauch. Eva-Maria Jacob hat ihm daraufhin erklärt, dass Weißwürste sehr fett sind. Die Bauchspeicheldrüse stellt ein Enzym her, das bei der Verdauung von Fett hilft – normalerweise. Hubert Schneider ist diese Fähigkeit durch die Operation abhanden gekommen. Er müsste also, sollte ihn wieder einmal der Glust packen, das Enzym künstlich substituieren.
Mineralien, Vitamine und ein bisschen Sport machen die Patienten gesünder
Am Blutbild des Patienten sehen die Ärztinnen, woran es ihm sonst noch mangelt. Oft ist das Eisen. Weil das zur Produktion der roten Blutkörperchen benötigt wird, ist eine Anämie die Folge, was wiederum bedeuten kann, dass bei der OP größere Mengen Blut transfundiert werden müssen, was immer mit einem Risiko verbunden ist. Mit Nahrungsergänzungsmittel können solche Mängel – ebenso wie der von anderen Mineralien oder Vitaminen – schnell behandelt werden. Am Muskelzustand schließlich lässt sich erkennen, wieviel dem Patienten körperlich zuzutrauen ist: ein bisschen Sport gehört zur Prähabilitation, dass kann vom einfachen Spazierengehen bis zum Fitnessstudio gehen.
Hubert Schneider sagt, zu trainieren habe ihm keine Schwierigkeiten bereitet, er habe sein ganzes Leben lang Sport getrieben. Gut, früher ist er auch mal 100 Kilometer mit dem Rad gefahren – jetzt gehe er gerade mal spazieren. „Aber das kann man ja ausbauen“, sagt er. „Bisschen schneller mit Nordic Walking, und vielleicht geht irgendwann mal wieder Joggen. Das ist das Ziel.“
Mia Kim leitet in Neuperlach das Darmkrebszentrum; sie ist wie Natascha Nüssler Chirurgin – und stellt gleich mal ihrem Berufstand ein eher schlechtes Zeugnis aus: „Einige Chirurgen neigen dazu, sich ausschließlich auf die Operationstechnik zu fokussieren. Das Tolle an unserem Konzept ist, dass wir den Patienten ganzheitlich betrachten.“ Ganz offensichtlich mit Erfolg: Prähabilitations-Patienten erleiden nach der OP weniger Komplikationen, sie brauchen weniger Schmerzmittel und kommen schneller aus dem Bett. So wie bei Hubert Schneider mit seinen 74 Jahren. Der muss jetzt allerdings los, Probe mit seiner Band, er spielt Gitarre, Banjo und Ukulele zu Country Folk und Bluegrass. „Wenn wir den nächsten Auftritt haben“, ruft er seinen Ärztinnen zum Abschied zu, „lade ich Sie alle ein.“
Die Reha vor der Krebs-Operation
Am Klinikum Neuperlach werden Tumor-Patienten erst aufgepäppelt, bevor sie unters Messer kommen: Das ist das Prähabilitations-Konzept im Darmkrebs-Zentrum.
„Das hat mich getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel“, sagt ein Patient. Wann der Blitz eingeschlagen hat, weiß er noch ganz genau: Am 22. August des vergangenen Jahres rief sein Hausarzt an, er solle sofort vorbeikommen – das wenige Tage zuvor gefertigte Blutbild sei katastrophal. Dabei war er doch nur beim Arzt gewesen, „weil ich dachte, ich habe eine kleine Magen-Darm-Sache“. Nun aber gab’s eine Ultraschall-Untersuchung, gefolgt von einem schweren Gewitter: ein Tumor an der Bauchspeicheldrüse.
Ein knappes Dreivierteljahr nach der Diagnose sitzt Hubert Schneider (Name geändert) in einem Büro im Klinikum Neuperlach, ein bisschen dünn und durchsichtig noch, aber insgesamt gut drauf. Er hat eine Chemotherapie und eine Operation hinter sich, und nach allem, was man sagen kann, ist er jetzt krebsfrei. In wenigen Wochen wird noch eine zweite Chemo folgen, zur Sicherheit. Dass die Therapie bislang so gut verlaufen ist, liegt zum einen daran, dass der Tumor recht früh entdeckt wurde. Und an einem speziellen Behandlungskonzept in Neuperlach, dass die drei Medizinerinnen Natascha Nüssler, Mia Kim und Eva-Maria Jacob für ihre onkologischen Patientinnen und Patienten entwickelt haben.
Neuperlach beherbergt das größte Darmkrebs-Zentrum Deutschlands. Viele Patienten sind im hohen Alter: „Der Krankheitsgipfel der meisten Krebserkrankungen im Magen-Darm-Trakt liegt jenseits des sechsten Lebensjahrzehnts“, sagt die Chirurgin Natascha Nüssler. Deshalb seien viele Patienten zu Beginn der Therapie in einem schlechten Allgemeinzustand: mangelernährt, gebrechlich, unter Sarkopenie leidend, das ist der Verlust von Muskelmasse. Aus der Gewissheit heraus, dass ein körperlich einigermaßen robuster Mensch eine Tumor-Operation besser übersteht als ein geschwächter, werden Patienten in Neuperlach der so genannte Prähabilitation unterzogen, griffig zusammengefasst in dem Schlagwort „Reha vor der OP“.
Dazu werden zunächst allen Körperfunktionen der Kranken untersucht, vor allem in Bezug auf Ernährung, Blutbild und Muskelzustand. Was die Ernährung betrifft, so haben sie alle Extrem an Gewicht verloren, weil sie nicht mehr essen oder das Essen nicht mehr angemessen verdauen konnten. Hier kommt Eva-Maria Jacob ins Spiel, sie ist Ernährungsmedizinerin. „Es ist nicht so, dass die Patienten ganz viele Lebensmittel nicht mehr essen dürfen“, sagt sie. „Sie müssen aber ihren Bedarf und den richtigen Umgang kennen.“
Hubert Schneider etwa gab einige Zeit nach der OP seinem Appetit auf Weißwürste nach – und das ist im gar nicht gut bekommen, fürchterlich gegrummelt hat’s im Bauch. Eva-Maria Jacob hat ihm daraufhin erklärt, dass Weißwürste sehr fett sind. Die Bauchspeicheldrüse stellt ein Enzym her, das bei der Verdauung von Fett hilft – normalerweise. Hubert Schneider ist diese Fähigkeit durch die Operation abhanden gekommen. Er müsste also, sollte ihn wieder einmal der Glust packen, das Enzym künstlich substituieren.
Mineralien, Vitamine und ein bisschen Sport machen die Patienten gesünder
Am Blutbild des Patienten sehen die Ärztinnen, woran es ihm sonst noch mangelt. Oft ist das Eisen. Weil das zur Produktion der roten Blutkörperchen benötigt wird, ist eine Anämie die Folge, was wiederum bedeuten kann, dass bei der OP größere Mengen Blut transfundiert werden müssen, was immer mit einem Risiko verbunden ist. Mit Nahrungsergänzungsmittel können solche Mängel – ebenso wie der von anderen Mineralien oder Vitaminen – schnell behandelt werden. Am Muskelzustand schließlich lässt sich erkennen, wieviel dem Patienten körperlich zuzutrauen ist: ein bisschen Sport gehört zur Prähabilitation, dass kann vom einfachen Spazierengehen bis zum Fitnessstudio gehen.
Hubert Schneider sagt, zu trainieren habe ihm keine Schwierigkeiten bereitet, er habe sein ganzes Leben lang Sport getrieben. Gut, früher ist er auch mal 100 Kilometer mit dem Rad gefahren – jetzt gehe er gerade mal spazieren. „Aber das kann man ja ausbauen“, sagt er. „Bisschen schneller mit Nordic Walking, und vielleicht geht irgendwann mal wieder Joggen. Das ist das Ziel.“
Mia Kim leitet in Neuperlach das Darmkrebszentrum; sie ist wie Natascha Nüssler Chirurgin – und stellt gleich mal ihrem Berufstand ein eher schlechtes Zeugnis aus: „Einige Chirurgen neigen dazu, sich ausschließlich auf die Operationstechnik zu fokussieren. Das Tolle an unserem Konzept ist, dass wir den Patienten ganzheitlich betrachten.“ Ganz offensichtlich mit Erfolg: Prähabilitations-Patienten erleiden nach der OP weniger Komplikationen, sie brauchen weniger Schmerzmittel und kommen schneller aus dem Bett. So wie bei Hubert Schneider mit seinen 74 Jahren. Der muss jetzt allerdings los, Probe mit seiner Band, er spielt Gitarre, Banjo und Ukulele zu Country Folk und Bluegrass. „Wenn wir den nächsten Auftritt haben“, ruft er seinen Ärztinnen zum Abschied zu, „lade ich Sie alle ein.“
(SZ vom 23.4.23 von Stephan Handel)
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